Donnerstag, 3. Juni 2010

Inter esse oder Interessen?

Weder noch, jedenfalls nicht am Analphabeten Horst Köhler
Von Wiglaf Droste (JungeWelt)
Etymologisch stammt das deutsche Substantiv Interesse vom lateinischen Verb inter esse ab und bedeutet: dabei sein, dazwischen sein, beteiligt sein, an etwas Anteil nehmen. Interesse ist aber auch ein juristischer Terminus, der sich vom römischen quod in re est ableitet; in diesem Verständnis heißt Interesse: Was in der Sache liegt, worum es geht, was von Wichtigkeit ist.
Über die Unkenntnis solcher nur scheinbar belanglosen Feinheiten kann ein Präsident stolpern, stürzen, fallen – indem er von Interessen spricht, ohne zu wissen, wovon genau er redet. Der Hang zum routiniert engagierten Herumschwatzen war ohnehin das hervorstechende Markenzeichen Horst Köhlers. Dann aber sprach er im Radio einen Satz, der ihm zum Verhängnis wurde. Der Satz lautet wörtlich und ungekürzt:
»Meine Einschätzung ist aber, daß insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, daß ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muß, daß im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.«
Als ich mich durch den Rohr-frei-Schwall von 76 Wörtern zuerst hindurchgehört und später hindurchbuchstabiert hatte, fragte ich mich bang: Und wer übersetzt das jetzt ins Deutsche? Muß ich denn alles machen? Doch auch dieses Joch noch nahm ich auf mich. Niemals bin ich als staatstragend aufgefallen und werde damit auch nicht anfangen; wenn man aber die Möglichkeit hat, einem Bundespräsidenten bei einer Alphabetisierungskampagne zu helfen, die nicht in Afrika, sondern in seiner eigenen Gummibirne stattfindet, darf man gnädig sein und ein paar Momente Lebenszeit opfern. Behinderte verdienen unseren Respekt; bei den Indianern galten sie als Lieblinge des Großen Manitou, daran will ich mich halten.
Was also sind die Interessen in Afghanistan, die Horst Köhler quallmundig »unsere Interessen« nennt, obwohl sie ganz sicher nicht die meinen und auch nicht die der meisten Insassen dieses Landes sind? Was wollte er seinen Zuhörern mit dem Satz, der ihm einen Ehrenplatz unter den rhetorischen Rosinenbrötchen der deutschen Stammelpolitik sichern wird, verklickern? Daß man ein bißchen interessiert ist an dem, was in Afghanistan geschieht und deshalb in mitmischerischer Absicht bewaffnete und besoldete deutsche Touristen dort hinschickt? Oder daß am Hindukusch selbstverständlich für die Freiheit der Deutschen Bank und der deutschen Rüstungsindustrie gemordet und entsprechend auch gestorben wird?
Köhlers verquollene Worte spiegeln die Verheucheltheit der deutschen Politik, die längst im Krieg ist, sich aber feige und schmutzig herauszuwinden sucht. Die Grünen, die Köhlers Sturz betrieben, haben im Krieg gegen Serbien geübt. Mit der Gründung der Grünen endete die Politik in Deutschland; der Kleingartenverein ist in zwei Zeilen zusammenfaßbar:
Ist das Hirn zu kurz gekommen
wird sehr gern Moral genommen.
Und so ist man wieder da, wo sich alle Öffentlichkeit erschließt: in der Sprache. Hören Sie noch einmal Horst Köhler zu: »Meine Einschätzung ... aber, daß insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen … ein Land unserer Größe … im Notfall auch militärischer Einsatz … unsere Interessen …«
Womit mein Interesse am Schicksal eines sprachlich und kopfmäßig Insuffizienten rückstandslos erloschen ist.
Inter esse an Köhler? – Nein!
Da möchte ich nicht dabei sein.
Außerdem äußerte sich der Kabarettist Georg Schramm ("Neues aus der Anstalt") zum Abgang Köhlers: hier klicken.
"Ich war entzückt"
Kabarettist Georg Schramm freut sich über den Rücktritt des Bundespräsidenten
Der Rücktritt sei "das Beste", was Köhler während seiner Amtszeit gemacht habe, sagt der Kabarettist Georg Schramm. Köhler verfüge nicht über die Kraft des gesprochenen Wortes. 
Der Kabarettist Georg Schramm hat hocherfreut auf den Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler reagiert. Er sagte: "Ich war entzückt." Er habe sich einfach wahnsinnig gefreut, dass Köhler endlich zurückgetreten sei, der Anlass sei ihm schon fast egal gewesen. Das Amt des Bundespräsidenten sei ein symbolisches Amt und lebe nur von der Macht des gesprochenen Wortes. "Und ausgerechnet Horst Köhler, ein Mann, der für jeden erkennbar genau darüber nicht verfügt, über die Kraft des gesprochenen Wortes, den macht man zum Bundespräsidenten."
Die Parteien gingen mit dem Amt seit "Jahrzehnten um, dass man sich schämen müsste", sagte Schramm. Zu den Afghanistan-Äußerungen Köhlers sagte Schramm, dieser habe "dummerweise nicht gewusst, dass das, was er sagt, nicht auf dem Boden unserer Verfassung steht. Und warum? Weil ihm die Leute weglaufen und er hat niemanden mehr in seiner Nähe, der ihm erklärt, was er spricht", so Schramm: "Der Mann weiß doch gar nicht, was er redet, nicht wirklich. Er grüßt in Afrika die Leute von seiner Frau zu Hause. Das kann man doch nicht ernst nehmen", sagte Schramm. Der Rücktritt sei "das Beste", was Köhler während seiner Amtszeit gemacht habe.
Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 31.10.2010 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.

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