Von Werner Pirker
Deutschen Zeitungsberichten zufolge kommt selbst eine von der EU ermächtigte Untersuchungskommission in ihrem Bericht um die Feststellung nicht herum, daß die Georgier die kriegerischen Auseinandersetzung um Südossetien begonnen haben. Ansonsten läßt das von der Schweizerin Heidi Tagliavini verfaßte Papier deutlich das Bemühen erkennen, die georgische Schuld am Ausbruch des Kaukasus-Krieges im Sommer vergangenen Jahres möglichst kleinzuschreiben und Rußland einer völkerrechtswidrigen Invasion zu bezichtigen. Zwar hätten die Georgier den ersten Schuß abgegeben, heißt es, dem wären aber von Rußland unterstützte Provokationen in den von Tbilissi beanspruchten Provinzen Abchasien und Südossetien vorausgegangen. In der Folge seien die russischen Truppen tief in georgisches Kernland eingedrungen, was von der Untersuchungskommission als völkerrechtswidrig angesehen wird. Zudem habe Moskau an der Zerstörung der territorialen Integrität Georgiens mitgewirkt.
Unerwähnt bleibt in dem Bericht die grausame Kriegsführung der georgischen Truppen gegen die Zivilbevölkerung in der Nacht zum 8. August 2008, als die südossetische Hauptstadt Tschinwali in Grund und Boden geschossen wurde. Dabei sind auch Streubomben zum Einsatz gekommen. Zwar hält sich die EU zugute, vor Kriegsausbruch um eine Vermittlung im georgisch-südossetischen Konflikt bemüht gewesen zu sein. Das war auch Moskau, das im UN-Sicherheitsrat einen auf eine friedliche Konfliktlösung gerichteten Beschluß durchzusetzen versuchte, was US-Botschafter Khalilzad zu verhindern wußte. Über europäische Kritik an Washingtons kriegstreiberischer Kaukasus-Politik ist indessen nichts bekannt geworden.
Im Gegenteil. Wahrscheinlich vom – offiziell noch gar nicht vorgelegten – EU-Untersuchungsbericht ermutigt, haben rund 70 Abgeordnete der Parlamentarischen Versammlung des Europarates einen Antrag eingebracht, in dem vorgeschlagen wird, der russischen Delegation das Stimmrecht zu entziehen. Der Europarat, meinte ein dänischer Sozialdemokrat, dürfe nicht zulassen, daß sich eines seiner Mitgliedsländer über dessen Werte hinwegsetze. Die Definitionsmacht über diese Werte obliegt ausschließlich dem Westen. Und sollte dazu die Einhaltung des Völkerrechtes zählen, dann ist auch das Auslegungssache. Wenn zum Beispiel das Kosovo, dessen Zugehörigkeit zu Serbien selbst in dem für Jugoslawien schmerzhaft gewesenen Friedensvertrag von Kumanowo und der ihm entsprechenden UN-Resolution außer Frage stand, losgetrennt wird, dann liegt keine oder bestenfalls eine vernachlässigbare Verletzung der territorialen Integrität eines Staates vor. Wenn aber Südossetien und Abchasien, die in keinem völkerrechtlich verbindlichen Dokument Gegenstand der territorialen Integrität eines unabhängigen Georgien sind, ihre Unabhängigkeit erklären, sind sie als illegale Gebilde von Rußlands Gnaden zu ächten. So besagt es das Zwei-Klassen-Völkerrecht.
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