Freitag, 4. Dezember 2009

Steuerfahnder-Affäre

Weimars Wahrheiten
Von Matthias Thieme

 Gewagte Aussagen: Der hessische Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU). (Bild: dpa)

Einige Aussagen des hessischen Finanzministers Karlheinz Weimar (CDU) im Haushaltsausschuss des Landtages könnten Folgen haben - auch für den Minister. In Hessen seien alle großen Steuersünder immer verfolgt worden, sagte Weimar: "Es gibt keinen Fall, bei dem der hessischen Finanzverwaltung nachgewiesen wurde, dass sie irgendjemanden geschont hätte." Eine gewagte Behauptung des Ministers - laut Dokumenten des Bundesrechnungshofs ist das Gegenteil wahr.

Über das hessische Finanzamt Bensheim samt Außenstellen, das für die Besteuerung von mehr als 100 Einkommensmillionären zuständig ist, notierte der Rechnungshof 2006, dass das Finanzamt "keinen davon prüfte". Noch unbegreiflicher: "Die Prüfung unterblieb selbst in den Fällen, in denen die Notwendigkeit eindeutig erkennbar war", so der Rechnungshof. Die Steuern seien häufig gemäß den Erklärungen der Millionäre festgesetzt worden - "selbst Flüchtigkeitsfehler und Rechenfehler, die zu Steuermindereinnahmen in sechsstelliger Höhe führten, korrigierten die Finanzämter nicht."
 
Im Einzelfall habe dies zu "erheblichen Steuerausfällen" geführt. Die hessischen Millionäre hätten keine Belege vorgelegt. Doch statt die Fälle zu untersuchen, hätte das Finanzamt beschlossen, "vorerst keine Prüfungen bei diesem Personenkreis mehr durchzuführen, weil diese die Prüfungsstatistik verschlechtern", so der Rechnungshof.

Sagt der Finanzminister also die Unwahrheit? Was ist mit den 192 Fällen von Großsteuerhinterziehern geschehen, die als Kunden der Deutschen Bank ihr Geld am Fiskus vorbei nach Liechtenstein schafften? Weimar sagte am Mittwoch vor zahlreichen Abgeordneten und Medienvertretern, diese Fälle hätten im Schnitt nur 208,20 Euro für das Land eingebracht, weil es sich bei diesen Fällen um "viele Rentner" gehandelt habe, die die Bank dazu gebracht habe, "kleine Beträge ins Ausland zu transferieren".

Die Steuerfahnder-Affäre
Ein starkes Stück Hessen: Das Land entlässt seine besten Beamten, erklärt erfolgreiche Steuerfahnder für verrückt. Weil sie Millionen hinterzogener Steuern von den Falschen zurückholten? Verfolgen Sie die FR-Recherchen zu dem Fall.
Fachleute halten das für ausgeschlossen. "Das ist Unfug", sagt der renommierte Verdi-Experte für Steuerfahndung, Reinhard Kilmer. "Rentner sind absolute Ausnahmefälle bei Geldtransfers ins Ausland." Er kenne bundesweit keinen Banken-Fall, der mit 200 Euro abgeschlossen wurde. Weimars Begründung sei schlicht "Quatsch". Man müsse "den Finanzminister fragen, ob er am Ausschöpfen der Steuerquellen wirklich interessiert ist", so der Experte. Doch wenn bei solchen Fällen nur 208 Euro im Schnitt erzielt würden, "muss das Finanzministerium nicht wirklich interessiert gewesen sein", so Kilmer.

Der Frankfurter Rundschau liegt eine Aufstellung des Finanzministeriums vor, wonach nur zwei der 192 Fälle als Steuerstrafverfahren mit entsprechenden Ermittlungen geführt wurden - der Rest wurde als simples Besteuerungsverfahren abgehakt, ohne Konsequenzen und vor allem ohne Zahlungen der Steuerpflichtigen. Der einzige wirkliche Ertrag wurde auf alle Fälle umgelegt - so entsteht Weimars irritierend niedriger Durchschnittswert von 208,20 Euro pro Fall.

"Hier hat die strafrechtliche Verfolgung der Steuerhinterzieher gar nicht stattgefunden", so Kilmer. "Das wurde mit ganz begrenzten Möglichkeiten im Innendienst erledigt." Solch eine Aufteilung bei einem derart großen Verfahren "muss durch das Ministerium angeordnet sein", so der Experte. "Ich kenne kein Bundesland, in dem das so gemacht wurde." Das Minimum an Steuermehreinnahmen liege bei solchen Banken-Fällen bei 50000 Euro pro Fall - nicht wie in Hessen laut Finanzminister Weimar bei 208,20 Euro. Für Kilmer ist das nicht nur ein politischer, sondern auch ein rechtlicher Skandal: "Die Finanzverwaltung muss das Legalitätsprinzip beachten, es steht nicht im Ermessen der Behörde, wer verfolgt wird, sondern es herrscht Strafverfolgungszwang", so Kilmer.

Ist Steuergerechtigkeit in Hessen unter Weimar nur eine Phrase? Mit riesigem Aufwand marschierten im August 1998 rund 300 Fahnder in die Deutsche Bank und durchsuchen das ganze Institut. Heraus kamen sie mit 326 Kisten und 357 Ordnern belastenden Materials. Daraus wurden die 192 Fälle wegen vermuteter Steuerhinterziehung angelegt. Doch die Steuerfahnder in Frankfurt durften die Fälle unter der frisch gewählten CDU-Regierung, unter dem neuen Finanzminister Weimar nicht weiter verfolgen.

Die berüchtigte Amtsverfügung, wonach Fälle unter 500 000 Mark nicht verfolgt werden durften, war für die Fahnder eine Katastrophe - spürten sie doch gerade über kleine Depotgebühren für Auslandskonten die richtig großen Fälle auf. "Diese Verfügung kann man nur als dumm und dämlich bezeichnen", sagt Experte Kilmer. "Das war eine Behinderung für die Steuerfahndung, die Steuerausfälle bewirkt hat."

Am Ende saß in Weimars Frankfurter Finanzverwaltung nur ein einziger Steuerfahnder an dem Großkomplex - ohne Helfer. Dieser Fahnder, der heute nichts mehr sagen darf, heißt Detlef Michaelis und hat 2005 im Untersuchungsausschuss des Landtages gesagt, es seien 357 Ordner "nicht erfasst" worden und Fälle von Auslandsbanken, die mit sehr Vermögenden Steuerhinterziehern zusammen arbeiten, seien "nicht in Gänze ausgewertet worden". Wer begreifen wolle, warum die Steuerfahndung behindert wurde durch Vorgesetzte und Weimars Ministerium, der solle sich zunächst einmal vom eigenen Demokratieverständnis verabschieden, so der Fahnder.

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