Wenn die
richtige Haltung gewichtiger als das Können ist, dann leidet die Qualität. Das haben alle totalitären Ideologien gemeinsam. In einer freiheitlichen und fortschrittlichen Gesellschaft verhält sich das genau andersrum. Diese ist abhängig von der Qualität, die wiederum auf Faktoren wie Rede-, Wissenschafts- und Forschungsfreiheit beruht und somit eine umfassende Debattenkultur, in der das bessere Argument Maßstab ist, zur Grundlage hat. Totalitäre Ideologien und Bewegungen hingegen können das nicht bieten. Sie würden sich dadurch einen Todesstoß versetzen.
Totalitäre Ideologien - das gilt für den Nationalsozialismus wie dem woken Internationalsozialismus (aber auch für alle anderen sozialistischen Ideologien und monotheistischen Religionen z.B.) gleichermaßen - mögen sich noch so sehr in einem Deckmantel der Fortschrittlichkeit einlullen, sie beinhalten dennoch immer Rückschritt. Auf der Verpackung mag in noch so großen Buchstaben Menschlichkeit und Gerechtigkeit stehen, doch der Inhalt besteht aus Grausamkeit und Unrecht. Darin, und nur darin, besteht die Lehre aus der Geschichte.
Es ist nicht die zur
Nazi-Partei diffamierte AfD, die bemerkenswerte Parallelen zum Nationalsozialismus aufweist, sondern es sind ihre Verleumder, die sich im Gewande des Antifaschismus mehr und mehr als wahre Faschisten erweisen. Die Hammelherde aus Mitläufern bildet dabei keine Ausnahme. Denn das Mitläufertum - ob nun aus Feigheit oder Eigensucht sei dahingestellt - ist noch immer die Grundlage jeder Tyrannei.
Im Juni 1933 war der Leipziger Studentenführer Eduard Klemt bester Stimmung: „Wir sehen uns mit genau derselben Frechheit, wie einst als SA-Leute auf der Straße, heute im Hörsaal um und entscheiden, ob ein Professor bleiben kann oder nicht. Kriterium wird sein: Jener Mann kann nicht mehr Professor sein, weil er uns nicht mehr versteht... Wir Jungen haben die Hochschule in der Hand und können daraus machen, was wir wollen.“ Dass die Studenten die Hochschulen 1933 in der Hand hatten, das war ein wenig zu viel gesagt. Aber ihr Einfluss war doch sehr groß, weit größer als je zuvor.
In Kiel drangen SA-Männer in die Wohnung des Astronomen Hans Rosenberg ein und erklärten ihm, dass er sich als „vom Amt suspendiert zu betrachten“ habe. Die Veranstaltungen unliebsamer Professoren wurden gesprengt, der „Reichsführer“ der Studenten forderte dazu auf, Informationen über jüdische, linke, liberale Professoren zu sammeln. In Berlin stellte sich der Rektor Eduard Kohlrausch den Studenten entgegen, aber zu seiner Wiederwahl trat er nicht mehr an: Er habe das Vertrauen der Studentenschaft nicht; ähnlich war es in Halle. Der Kieler Rektor August Skalweit, der sich von den nationalsozialistischen Studenten nichts sagen ließ, musste erleben, dass die Scheiben seines Dienstzimmers eingeworfen, Stinkbomben gelegt, Hydranten geöffnet wurden. Anfang März legte er sein Amt nieder.
Aus der Literatur zu einzelnen Hochschulen, Fakultäten, Disziplinen, Gelehrten im NS-Staat kann man Türme bauen. Was aber fehlte, war eine Überblicksdarstellung der Universitäten in diesen Jahren. Diese Lücke hat nun Michael Grüttner mit seinem Buch „Talar und Hakenkreuz“ geschlossen. Das war keine originelle, aber eine fruchtbare Idee: ein erneuter Blick auf die nationalsozialistische Dynamik von Verführungs- und Zerstörungskraft.
Nicht Duldung der neuen Verhältnisse war gefordert, sondern Aktivismus
Unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 greifen die Jungen nach der Macht, die Studenten, Assistenten, Privatdozenten. Die ordentlichen Professoren, mehrheitlich deutschnational [also klassisch "rechts", im Gegensatz zu den revolutionären Nationalsozialisten, die links waren - L.L.], sind zurückhaltend, den „unruhigen Elementen“ wie dem „Radauantisemitismus“ abgeneigt (der Romanist Ernst Robert Curtius spricht von der „Revolution der Massen“, der Philosoph Erich Rothacker von einem „kräftigen Schuss von Klassenhass“), die Politisierung der Wissenschaft geht gegen alles, wofür sie standen. Jetzt setzen sich die Jungen durch, und ihr Genuss der neuen Macht, die Freude, andere herabzusetzen, ja zu quälen, macht einen widerwärtigen Eindruck.
Diese Dynamik hat allerdings Ursachen. Die Universitäten der Zwanzigerjahre waren in einer heiklen Lage. Die Zahl der Studenten hatte sich gegenüber der Vorkriegszeit verdoppelt, aber die der Stellen im Lehrkörper waren der Finanznot wegen kaum gewachsen. Die Aussichten des wissenschaftlichen Nachwuchses waren kläglich, das machte die Vorstellung, die entlassenen jüdischen Hochschullehrer beerben zu können, so verführerisch. Aber auch die Wissenschaft selbst hatte an Kredit verloren; die wachsende Spezialisierung widersprach dem neuen Wunsch nach „ganzheitlicher“ Erkenntnis [ganzheitlich ist auch heute wieder ein Element neosozialistischer Wissenschaftsfeindlichkeit - L.L.]; wer Gottfried Benns „Ithaka“ kennt, hat einen Eindruck von der Stimmung. Und die Autonomie der Hochschulen bestand nicht zuletzt in den geradezu absolutistischen Vorrechten der Ordinarien. Wenn der „Geist der Volksgemeinschaft“ [nationalsozialistische Bezeichnung für eine klassenlose Gesellschaft, was wiederum typisch links ist - L.L.] beschworen wurde, die keinen Unterschied mehr mache „zwischen dem ältesten Ordinarius und dem jüngsten Privatdozenten“, wie sollte das nicht eine Verheißung sein für alle, die es noch nicht geschafft hatten?
„Kampfstellung gegen alles Arrivierte, ein schönes Vorrecht der Jugend!“, begeistert sich 1934 eine „Rede an die Mitglieder einer Dozentenschaft“. Aus der Sicht der Alten schrieb der Historiker Siegfried Kaehler, selbst erst 48 Jahre alt, „als ob wir auf die Menschenschicht, die heute mit elementarer Gewalt in den Staat eingebrochen ist, den Eindruck von kostümierten Gestalten machten, die sich aus einem Museum in den hellichten Tag verirrt haben“.
Ein Konzept nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik gab es nicht
Zu der „elementaren Gewalt“ der Jungen kamen bald die Drangsalierungen von Staat und Partei, die den Professoren den „Klassendünkel“ austreiben wollten. In Heidelberg wurde der Rektor am 1. Mai 1935 zusammen mit einem Arbeiter und einem Bauern an die Spitze eines Marschblocks gestellt. Nicht Duldung der neuen Verhältnisse war gefordert, sondern Aktivismus. Für alle, die nicht überzeugt waren, war das eine ungeheure Demütigung. „Ich bin kein freier Mensch mehr und kein ehrlicher“, schrieb der Germanist Hermann Schneider.
War die Universitäts- und Wissenschaftspolitik ein Erfolg im Sinne der NSDAP? Sicherlich stärker, als man es sich nach dem Krieg eingestehen wollte. Die künftigen Hochschullehrer wurden auch tüchtig in die Mangel genommen. Wochenlange „Gemeinschaftslager“ mit dem Schwerpunkt auf wehrsportlichem Drill und dazu Dozentenakademien sollte unter den Habilitierten – die Habilitation lag noch in den Händen der Fakultäten – diejenigen mit „nationalsozialistischer Veranlagung“ und „allgemeiner Dienstfreudigkeit“ ermitteln.
Und doch waren viele Nationalsozialisten bald enttäuscht. Man habe die eigene Sache „auf der ganzen Linie gründlich versiebt“, schrieb der Frankfurter Rektor Ernst Krieck, ein handfester Parteimann. Das hatte seine Gründe. Ein Konzept nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik gab es nicht. Die bekannte Polykratie hatte sich gerade auf diesem Gebiet besonders wild ausgebreitet. Das Reichserziehungsministerium unter dem schwachen Bernhard Rust, der „Stab Heß“ (später Parteikanzlei genannt), das Amt Rosenberg, der Dozentenbund, gegebenenfalls die Gauleiter, sie alle kämpften regellos um Einfluss. Immerhin musste jede Berufung dem Stab Heß vorgelegt werden (ob diesem ein Vetorecht zustand, war nicht geklärt), so wurden politisch heikle Berufungen erst gar nicht versucht – was aber auch nicht ausnahmslos galt.
Wirtschaft und Wehrmacht boten neue Aufstiegschancen
Seit etwa 1937 setzte sich nämlich die Einsicht durch, dass Gesinnung allein doch zu wenig sei. Die Industrie warnte vor dem einsetzenden wissenschaftlichen Niveauverlust, und selbst in der NSDAP ahnte man, dass es unmöglich sei, aus einer politisch empfohlenen Null „plötzlich einen Träger deutscher Wissenschaft herzustellen“. Der politische Druck einschließlich der Lagererziehung wurde etwas zurückgenommen.
Aber die Feindseligkeit gegenüber Wissenschaft und Bildung war damit nicht vertrieben. Intellektualismus hielt Goebbels für eine „Degenerationserscheinung des gesunden Menschenverstandes“. Hitler hatte in „Mein Kampf“ seine drei Erziehungsideale bezeichnet: das „Heranzüchten kerngesunder Körper“, dann die Charakterbildung und „erst als letztes die wissenschaftliche Schulung“. Man versteht so auch, warum gerade die medizinischen Fakultäten besonders stark nazifiziert waren: Sie hatten es mit unmittelbar verwertbarem Wissen zu tun, nicht etwa mit dem „toten Wissenskrempel des liberalistischen Jahrhunderts“ [die woke-Bewegung argumentiert nicht zu fällig ebenso - L.L.].
In dieser Stimmung war, so der Historiker Percy Ernst Schramm, der Professor zu einer „Spottfigur“ geworden. Das spiegelte sich auch in den Studentenzahlen, die zwischen 1932/33 und 1937/38 um mehr als die Hälfte sanken. Wirtschaft und Wehrmacht boten neue Aufstiegschancen, die akademische Welt galt nicht mehr viel. Im Zweiten Weltkrieg erkannte man rasch, dass die Missachtung der Wissenschaften und die Vertreibung jüdischer Forscher Deutschland auch rüstungstechnisch weit hinter Großbritannien und die USA zurückgeworfen hatten, im Luft- und U-Boot-Krieg trat das offen zutage. Versuche, daran noch etwas zu ändern, waren natürlich fruchtlos.
Die nationalsozialistische Fähigkeit, modern zu erscheinen und zum Teil auch zu sein, das Verständnis für die Ansprüche weiter Schichten, die „Revolution der Massen“ mitsamt der Lust, die Position der alten Eliten umzustoßen (die Abschaffung der Talare stand auch schon auf dem Programm), sie bekommen in Michael Grüttners reichhaltigem Buch ihren Auftritt – wie auch das komplette Desinteresse an der Wissenschaft, obwohl diese doch die Substanz des Fortschritts ist [und auch hier sind die Ähnlichkeiten zu heute kein Zufall - L.L.].
Michael Grüttner: „Talar und Hakenkreuz“. Die Universitäten im Dritten Reich. C.H. Beck Verlag, München 2024. 704 S., geb., 44,– €.
Quelle: F.A.Z.
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