Dienstag, 15. März 2022

Freie Gesellschaft: Warum der Diskurs so wichtig ist

 

Unser Mediensystem: Filterblase aus Selbstschutz (1)
Ständig heißt es, unsere Filterblase würde unseren Meinungshorizont verengen. Dabei ist unsere Medienlandschaft heute so komplex wie noch nie – wo mehr Auswahl herrscht, muss auch mehr selektiert werden.
Beim Debattieren geht es darum, Argumente gegeneinander antreten zu lassen, um Antworten auf drängende Fragen zu finden. Debattieren ist Problemlösen. Im modernen Mediensystem geht es allerdings häufig weniger um die Frage, wie sich Probleme lösen lassen, als darum, welche Haltung oder welcher Hintergedanke mutmaßlich hinter Argumenten verborgen ist. Debatten werden deshalb nicht geführt, sondern geordnet.
Was ist eine Debatte?
Wir führen Debatten, indem wir mindestens zwei Positionen gegeneinander antreten lassen. Eine Debatte umfasst aber viele verschiedene Fragen und oft eine ganze Reihe von Problemen. In der Klimadebatte etwa ließen sich zahlreiche Fragen diskutieren. Angefangen bei der Frage, ob es einen Klimawandel überhaupt gibt oder ob der Mensch für ihn verantwortlich ist, bis hin zur Frage, ob es sinnvoll ist, Elektromobilität staatlich zu fördern. Schließlich könnte man auch andere Technologien fördern oder der Staat könnte sich ganz heraushalten und die Anreize des Marktes wirken lassen. Auch könnte man argumentieren, die Folgen eines Temperaturanstiegs bis x Grad ließen sich durch menschlichen Erfindergeist und geeignete Anpassungsmaßnahmen auffangen und die Ressourcen seien nicht in der Verhinderung des Temperaturanstiegs am besten aufgehoben, sondern indem man die damit einhergehenden Probleme löst.
Alle diese Fragen gehören zur Klimadebatte und lassen sich selbst noch weiter aufschlüsseln. Durch das Stellen von Fragen gelangen wir zu weiteren Fragen, und über das Beantworten dieser Fragen können wir irgendwann vielleicht die Ausgangsfrage beantworten und ein großes Problem lösen. Eine funktionierende Debatte hat daher Ähnlichkeit mit wissenschaftlicher Methode, ganz besonders mit dem kritischen Rationalismus: Wir können nie ganz sicher sein, ob wir uns nicht doch irren. Daraus folgt, dass wir natürlich weiter Fragen stellen müssen.
Da Debatten zu Fragen führen und Fragen wiederum zu weiteren Fragen und weil wir nie sicher wissen können, ob wir wirklich richtig liegen, ist eine Debatte offen, und sie hat ein Ziel, das wir aber nicht kennen. Das Ziel einer Debatte ist vor allem nicht der Konsens, denn mit steigender Komplexität kann es diesen gar nicht geben. Was es aber geben kann, sind Antworten auf Fragen sowie Lösungen für einzelne Probleme. Diese Problemlösungen interpenetrieren sich. Sie kommen sich in die Quere, beeinflussen sich gegenseitig, haben Externalitäten, weshalb der Fokus einer Debatte oft auf eine andere übergeht, nur um einige Monate oder Jahre später wieder hinüberzuwechseln.
Das ist der Grund, weshalb Debatten mit dem scheinbaren Paradoxon fertig werden, zwar ein Ziel zu haben, aber dennoch unendlich zu sein: Mit dem Debattieren ist man niemals fertig, die Debatte verharrt höchstens im Wartemodus, nur um einige Zeit später wieder aktuell zu werden. Nahezu alles keimt irgendwann aufgrund irgendeiner Frage oder eines Problems wieder auf und entfacht die gesamte Debatte von neuem. Das Ziel einer Debatte ist deshalb auch nicht, sie zu beenden. Im Gegenteil: Debatten, die für beendet erklärt werden, sind ein guter Warnhinweis dafür, dass die Gesellschaft etwas von ihrer Offenheit verliert. Das gilt ganz besonders, wenn die Politik oder Medien selbst eine Debatte für beendet erklären. Insofern müssen wir feststellen, dass die westlichen Gesellschaften sich auf einem kritischen Pfad bewegen. Denn es wird zwar debattiert, aber die Debatten sind nicht so ergebnisoffen, wie man es im Westen erwarten würde. Woran liegt das?

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