Kluft im Kreml
Dissenz zwischen Präsident Medwedew und Premier Putin über den Sinn des massiven Bombenkrieges gegen Libyen
Von Rainer RuppLibyen-Resolution im Sicherheitsrat nicht verhindert – Rußlands Präsident Medwedew, im Hintergrund Premier Putin
Foto: reuters
Die Tatsache, daß sich Rußland bei Resolution 1973 des UN- Sicherheitsrats zur Kriegsermächtigung imperialistischer Mächte gegen Libyen der Stimme enthalten hat, statt sein Veto einzulegen, verblüffte in der vergangenen Woche viele Beobachter. Zu offensichtlich waren auch dieses Mal die Parallelen zu dem von Rußland immer noch heftig verurteilten, mit dreisten Lügen gerechtfertigten, »humanitären« Angriffskrieg der NATO 1999 gegen Serbien, dessen Beginn sich am heutigen Tag jährt. Diplomatisch ganz ungeschminkt hatte zum Beispiel der russische Botschafter bei der NATO, Dmitri Rogosin, in einem Interview auf den Völkerrechtsbruch vor zwölf Jahren hingewiesen. Auch die anderen Stimmen aus dem sicherheitspolitischen Establishment Rußlands ließen auf ein Veto im höchsten Gremium der Vereinten Nationen hoffen. Doch dann enthielt sich Moskau lediglich der Stimme, obwohl der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin nach dem Akt in einer öffentlichen Erklärung zutiefst besorgt und mit sichtlichem Bedauern auf die mangelhafte und undeutlich formulierte Resolution und deren möglichen Folgen hinwies, die dann auch prompt eintraten. Seither wurde über das Warum der russischen Enthaltung gerätselt.
Offensichtlich hat sich eine Kluft aufgetan zwischen Präsident Dmitri Medwedew und seinem Ministerpräsidenten Wladimir Putin. Der Premier kritisierte am Montag die Entscheidung, den jüngsten Bombenkrieg zu autorisieren, und somit implizit auch die Entscheidung zur Stimmenthaltung als »unzulänglich und falsch«, und er warf den kriegführenden Westmächten mit ungeschminkten Worten vor, wie bei einem »Kreuzzug« vorzugehen (jW berichtete). Medwedew fühlte sich davon offensichtlich herausgefordert, noch am gleichen Tag rügte er Putin in einem langen Interview wegen dessen Wortwahl. Zugleich betonte er, wie es übrigens in der russischen Verfassung festgeschrieben steht, daß er als Präsident allein über die Außenpolitik Rußlands entscheidet und er auch für die Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat verantwortlich ist, die er dann, allerdings sang- und kraftlos, verteidigt. Zugleich zeigte er sich gegenüber den Westmächten viel versöhnlicher als Putin.
Offensichtlich ist der russische Präsident, der wegen seiner naiven Aufgeschlossenheit gegenüber dem Westen von diesem stets als guter Demokrat gelobt wird, über den Tisch gezogen worden. Erkennbar hatte sich Medwedew von der angeblichen Dringlichkeit überzeugen lassen, daß etwas gegen den schrecklichen Diktator Muammar Al-Ghaddafi getan werden müsse, und er hat den verbalen Versicherungen der Westmächte Glauben geschenkt, sich streng an eine enge Auslegung der Resolution zu halten und vor weiteren Maßnahmen den Kreml zu konsultieren. Davon war nicht mehr die Rede, sobald Frankreich, Großbritannien und die USA ihre Resolution 1973 in der Tasche hatten.
Wie zu erwarten, begann ein massiver Bombenkrieg gegen Libyen, angeblich um unbeteiligte Zivilisten im Osten des Landes vor Ghaddafi zu schützen – weshalb unbeteiligte Zivilisten im Westen des Landes von den Westmächten getötet werden. Medwedews Appelle zur Mäßigung, die er seither an die kriegführenden Westmächte schickt, und sein Angebot, als Vermittler aufzutreten, zeugen von seiner Hilflosigkeit und dürften in Paris, London und Washington in der Sache höchstens ein mitleidiges Lächeln bewirken. Dennoch zeigte sich die US-Regierung, wenigstens nach außen hin, für Medwedews Sorgen empfänglich und schickte Pentagonchef Robert Gates zu einem drei Tage dauernden Besuch nach Rußland.
Die Tatsache, daß Gates an dem Tag, an dem der Angriffskrieg gegen Libyen begann, nicht im Pentagon war, sondern in Moskau ankam, soll offensichtlich zeigen, wie sehr Washington auf die sogenannte »Reset Policy«, d.h. auf die Politik den »Neubeginns« mit Moskau setzt. In Rußland ist Medwedew ein enthusiastischer Vertreter dieser Politik, wobei er von prowestlichen Strukturen in seiner Entourage bestärkt wird. Derweil hatte Gates bereits im Flugzeug auf dem Weg nach Moskau gegenüber Journalisten hervorgehoben, wie sehr er die Kooperation mit Rußland und dessen Stimmenthaltung im Sicherheitsrat schätze. Offensichtlich geht es Washington darum, Mewedew ein Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl den Rücken zu stärken.
Am Mittwoch berichteten die Agenturen, Putin habe in einer Stellungnahme ausdrücklich versichert, daß er sich mit Medwedew »gut versteht«. Und Putins Sprecher Dmitri Peskow ergänzte, daß die jüngsten Äußerungen des Ministerpräsidenten zu Libyen lediglich seine persönliche Meinung gewesen seien. Obwohl Putin den Großteil der russischen Bevölkerung und insbesondere der sicherheitspolitischen Strukturen im Staatsapparat hinter sich weiß, ist er offensichtlich bemüht, nach außen den Eindruck einer Spaltung in der russischen Führung zu vermeiden. Es scheint ihm zu genügen, daß Medwedew mit seiner Erklärung, er selbst habe das Außenministerium zur Stimmenthaltung im Sicherheitsrat angewiesen, sich in den Augen der Masse des Volkes hinreichend selbst diskreditiert hat.
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