Samstag, 2. Februar 2013

Maulkorb gegen Kritiker

Mit diesem Durchsuchungsbeschluß rückte am Montag die Polizei an, Foto: jW
Montag nachmittag in Bayern: Die Polizei marschiert bei der Augsburger Allgemeinen ein, zwingt sie, persönliche Daten eines Internetforen-Nutzers der Tageszeitung herauszugeben. Andernfalls würde die Redaktion gefilzt. Ein Beamter präsentiert den entsprechenden Beschluß des Augsburger Amtsgerichts. Erwirkt hat diesen der städtische Ordungsreferent Volker Ullrich. Der Grund: Der CSU-Stadtrat und Jurist fühlte sich durch einen Kommentar eines Lesers beleidigt.
»Wir prüfen derzeit, ob wir dagegen Beschwerde einlegen werden«, informierte das Mitglied der Chefredaktion Jürgen Marks am Dienstag abend jW. Er wertet das Vorgehen als Angriff auf die grundgesetzliche Meinungsfreiheit.
Wie die Augsburger Allgemeine am Dienstag berichtete, hatte der Betroffene im Herbst 2012 online mit anderen Lesern »sehr emotional« über einen Artikel des Blattes diskutiert. Darin sei es um Ullrichs Pläne gegangen, gegen Straßenprostitution vorzugehen. Der Autor habe dem Politiker »Rechtsbeugung« vorgeworfen. »Mitte Oktober flatterte ein Schreiben von Ullrichs Anwalt ins Haus. Er forderte uns auf, preiszugeben, wer hinter dem Pseudonym steckt, um Unterlassungsansprüche gegen ihn geltend machen zu können«, so die Zeitung. Dies habe man jedoch »aus grundsätzlichen Erwägungen« abgelehnt. »Wir unterstützen weder Beleidigungen noch strafrechtlich relevante Äußerungen auf unserer Plattform und sind bereit, diese nach Prüfung zu löschen, wenn wir darauf aufmerksam gemacht werden«, stellte Marks klar. Das habe man sofort getan. »Aber wir nehmen die Meinungsfreiheit und den Schutz der Nutzerdaten sehr ernst«, ergänzte er.
Ullrichs allerdings gab sich damit nicht zufrieden. Er erstattete Strafanzeige gegen den Nutzer. »Nun forderte die Polizei die Herausgabe der Daten, die Redaktion lehnte erneut ab«, heißt es im Bericht. Schließlich habe der ermittelnde Beamte samt Richterbeschluß vor der Tür gestanden. Es sei, so die Augsburger Allgemeine, bereits das zweite Mal, daß der CSU-Mann versucht habe, einen »Widersacher« auf diese Weise mundtot zu machen. »Ein Ordnungsreferent muß viel Kritik einstecken«, bemitleidete sich Ullrich indes nach dem Vorfall im sozialen Netzwerk Facebook. Der Vorwurf der Rechtsbeugung gegen ihn als Juristen gehe aber zu weit. Später ruderte Ullrich zurück und kündigte an: »Ich werde meine Strafanzeige zurückziehen, wenn der User sich bei mir entschuldigt.«
»Den Durchsuchungsbeschluß zur Ermittlung eines Kommentators kann man schwerlich als verhältnismäßig einstufen«, zweifelt der Freisinger Rechtsanwalt Thomas Stadler auf seiner Internetseite. Zwar kenne er den genauen Wortlaut nicht – diesen wollte Marks auch auf jW-Nachfrage »besser nicht noch einmal wiederholen«. »Es wäre aber nicht das erste Mal, daß ein Amtsgericht die Bedeutung und Tragweite des Grundgesetzes bezüglich der Meinungsfreiheit verkennt«, so der Anwalt. Gleichzeitig handele es sich seiner Meinung nach um einen Eingriff in die Pressefreiheit. »Laut Bundesverfassungsgerichts umfaßt das in der Strafprozeßordnung geregelte Beschlagnahmeverbot auch anonyme Zuschriften, die von Redaktionen dokumentiert werden.« Das müsse für Forenbeiträge in gleicher Weise gelten, ist Stadler überzeugt.
jW

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