»Datenbasis der Statistiker ist grob falsch«
Keiner weiß, wie groß die Bevölkerung in Deutschland tatsächlich ist. Ein Gespräch mit Gerd Bosbach
Interview: Ralf Wurzbacher (jungeWelt)
Gerd Bosbach ist Professor für Statistik, Mathematik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz, Standort Remagen, und Koautor des Buches »Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden« (www.luegen-mit-zahlen.de)
Laut einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) gehört Deutschland mit einer Geburtenziffer von 1,39 Kindern pro Frau weiterhin zu den Schlußlichtern in Europa. Dabei sollten doch Eltern- und höheres Kindergeld eigentlich zum Gebären animieren. Warum verpuffen all diese Maßnahmen?
Zunächst einmal ist auf die Zahl 1,39 kein Verlaß. Im Vorjahr gab es eine Art Volkszählung, weil keiner weiß, wie groß die Bevölkerung in Deutschland wirklich ist. Schätzungen besagen, daß hierzulande 1,2 Millionen Menschen weniger leben, als bislang angenommen. Vermutlich ist die Fehlzahl sogar noch größer. Das hat Auswirkungen auf alle demographischen Größen. Trotz dieser und weiterer Unsicherheiten wird jetzt so getan, als wäre die 1,39 eine gesicherte Größe.
Warum geschieht das in Ihren Augen?
Es dürfte einmal mehr darum gehen, den Leuten die übliche Demographiepropaganda um die Ohren zu hauen. Los ging das 2003, als das Statistische Bundesamt erstmals mit dem Thema groß rausgekommen war. Schon damals wußte man, daß die Melderegister die Bevölkerungszahl je nach Bundesland um zwei bis sieben Prozent überschätzen. Dahinter stehen handfeste Interessen: Mehr Einwohner bescheren den Kommunen mehr Gelder und dem OB mitunter ein besseres Gehalt. Die Datenbasis der Wiesbadener Statistiker ist grob falsch. Daß wissen sie auch seit vielen Jahren, und doch wollen sie die Menschen glauben machen, sie könnten demographische Entwicklung vorhersagen.
Daß in Deutschland wenige Kinder zur Welt kommen, läßt sich trotzdem nicht bestreiten. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Es gibt ja das Klischee, Akademiker wären heute nur auf Karriere aus. Das ist Unsinn: Aus Gesprächen mit meinen Studierenden weiß ich, daß bei fast allen Paaren der Kinderwunsch vorhanden ist. Allerdings wollen sie den nur realisieren, wenn mindestens ein Elternteil eine feste, langfristig gesicherte Stelle hat. Das heißt: Mehr Kinder wird es nur geben, wenn man jungen Leuten auch anständige Arbeitsplätze bietet – keine prekären Jobs mit Befristung und mieser Bezahlung.
Wovon es in Deutschland mehr denn je gibt …
Richtig, und das ist schlimm genug. Und auch deshalb könnte man fragen, ob wir überhaupt mehr Kinder brauchen. Schließlich hört man doch jeden Tag Klagen darüber, daß die Kindertagesstätten, die Schulen und die Hochschulen überfüllt wären. Jugendliche mit einem Abiturschnitt von 1,4 müssen heutzutage in Österreich oder der Schweiz studieren, weil sie an deutschen Hochschulen nicht genommen werden. Warum bildet man in Deutschland nicht zuerst die Kinder, die es gibt, ordentlich aus, anstatt sie weg- oder zu Hunderttausenden in die Arbeitslosigkeit zu schicken, bevor noch mehr Kinder in die Welt gesetzt werden?
Die BiB-Studie wird auf alle Fälle die bestärken, die seit langem vorm Aussterben der Deutschen warnen. Sie meinen dagegen, es gibt Deutsche genug?
Würde es sonst drei bis vier Millionen Arbeitslose geben? Und über sieben Millionen, die mehr arbeiten wollen? Die vermeintliche Vergreisung der Deutschen ist so wenig ein Problem wie der sogenannte Fachkräftemangel. Einerseits bekommen die Menschen gesagt, ihr habt zu wenig Kinder, und dann gibt man ihnen keine Arbeit, um eine Familie zu ernähren. Die ganze Diskussion steckt voller Widersprüche und Lügen. Das Statistische Bundesamt hat 2009 vorausgesagt, daß die deutsche Bevölkerung bis 2012 um 630000 schrumpfen wird. Tatsächlich waren es aber 160000. Wie will man bei einer so massiven Abweichung innerhalb von nur drei Jahren eine Prognose für das Jahr 2060 anstellen?
Was ist mit der Behauptung, mit einer alternden Bevölkerung kollabiert die gesetzliche Rente?
Das Problem ist ein anderes: Es gibt zu wenige Menschen, die für die Rente arbeiten dürfen und in die Rentenkasse einzahlen. Es gibt außerdem zu viele Niedrigverdiener, und die Löhne bleiben seit Jahren hinter der Produktivitätsentwicklung zurück. Entscheidend für die Rente ist nicht die Bevölkerungszahl, sondern die wirtschaftliche Lage im Land.Ein dickes Buch könnte man über dieses Thema veröffentlichen.
Die Antwort des Herrn Bosbach lässt sich erweitern.
Fakt ist, dass es im In- und Ausland Nutznießer der Rentenversicherung gibt, die aber niemals Einzahler waren.
Im Inland betrifft dies in grotesker Weise diejenigen, welche die höchsten Rentenzahlungen erhalten.
Fakt ist aber auch, dass die Rentenkassen über Jahrzehnte hinweg zweckentfremdet geplündert wurden.
Im letzten Jahr hat die Rentenkasse einen Überschuss von 5,5 Milliarden €uro verzeichnet. Von einem Minus kann also nicht die Rede sein.
Was die angeblich ständig zunehmende vergreisende Bevölkerung angeht, so ist es doch interessant zu wissen, dass diejenigen, auf deren Statistiken man sich bezieht, etwas ganz anderes aussagen. Nämlich, dass in den letzten Jahren die Zahl der Greisen, also der über 80jährigen, abgenommen hat.
Die entsprechende Statistik des Bundesamtes hatte ich an anderer Stelle verlinkt.
Und überhaupt würde mich interessieren, wie die durchschnittliche Lebenserwartung berechnet wird bzw. welche Zahlen berücksichtigt werden?
Werden nur diejenigen gezählt, die bereits das Rentenalter erreicht hatten? Oder zählt man nur diejenigen, die an Alterschwäche verstorben sind?
Es ist jedenfalls eine Schande, wie in diesem Land ungestraft gelogen und betrogen werden kann...
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