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50 Jahre "Kuba-Krise" (Teil 2)
Aus heiß wird kalt
Die Raketenkrise in der Karibik im Herbst 1962. Teil II (und Schluß): Wie ein Krieg verhindert, der Frieden aber nicht gewonnen wurde
»Kuba-Raketen« gegen »Türkei-Raketen«: UdSSR und USA einigten sich Ende Oktober 1962 auf den Abzug der Atomwaffen in der Karibik und am Bosporus (ein sowjetischer Frachter mit Waffenteilen auf dem Weg zurück in die UdSSR, Foto: AP
Am Sonnabend, dem 27. Oktober 1962, gab es zwischen USA und UdSSR eine gefährliche Zuspitzung der Raketenkrise in der Karibik. Dabei hatte der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow in der Nacht zuvor in zwei Briefen an den US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy seine Bereitschaft zum Abzug der Raketen aus Kuba erklärt, wenn die USA ihrerseits auf eine Invasion der Insel verzichten und ihre »Jupiter«-Raketen aus der Türkei abziehen würden. Am Vormittag ordnete der US-Präsident erneut eine Ausweitung der von Kuba als Provokation verurteilten Aufklärungsflüge an. Dann kam eine Nachricht, die das Executive Committee (ExComm), die Quasi-Notstandsregierung, kurz nach zehn Uhr erreichte: Ein U2-Spionageflugzeug war aus Alaska in den Luftraum der Sowjetunion eingedrungen. Gegen aufsteigende MiGs rief der Pilot sogar einen US-Kampfjet als Begleitschutz zur Hilfe, der nach US-Aussage mit atomaren Luft-Luft-Raketen bewaffnet war. Verteidigungsminister Robert McNamara soll totenbleich geworden sein und gerufen haben: »Das bedeutet Krieg mit der Sowjetunion!«
Am Nachmittag kam die zweite Hiobsbotschaft: Eine U2 war über Kuba von einer sowjetischen Boden-Luft-Rakete getroffen worden, stürzte ab, und der Pilot fand den Tod. Obwohl das US-Militär durch Generalstabschef Maxwell Taylor drängte, den Abschuß mit sofortigen Bombardements der Raketenstellungen und der Invasion Kubas zu beantworten, lehnte der Präsident ab. Im Pentagon, so hieß es in Berichten, sei man darüber »entsetzt« gewesen. McNamara schlug vor, auf den Handel »Kuba-Raketen gegen Türkei-Raketen« einzugehen, aber »nur als Einleitung zu einer Invasion Kubas«. Luftwaffengeneral Curtis LeMay, so erklärte der Pentagon-Chef 2004, habe damals unter Hinweis auf die große nukleare Überlegenheit der USA über die Sowjetunion sogar erklärt: »Laßt uns Kuba vollständig zerstören – wir sollten es heute noch auslöschen.«
Auf Anweisung des Präsidenten wurden dann weitere 14200 Reservisten der Luftwaffe einberufen. Der Verteidigungsminister forderte, »eine neue Regierung für Kuba bereitzuhalten, denn wir brauchen sie«. Justizminister Robert Kennedy schilderte die Situation später so: Man habe an diesem Sonnabend zwar auf eine Verhandlungslösung gehofft, »wir erwarteten aber eine militärische Konfrontation am Dienstag.«
Übergang zur Sabotage
Am Abend des 27. Oktober beschloß die Runde dann doch, als Antwort auf den ersten Brief Chruschtschows eine Zusicherung des Verzichts auf eine Invasion zu geben, wenn die sowjetischen Raketen abgezogen würden. Auf die »Jupiter«-Stellungen in der Türkei ging der Brief nicht ein. Doch am selben Abend traf sich Justizminister Kennedy ohne Wissen der meisten ExComm-Mitglieder noch privat mit dem sowjetischen Botschafter Anatoli F. Dobrynin, um ihm im Auftrag des Präsidenten zu versichern, daß die USA unter der Bedingung, daß es nicht publik werde, ihre Raketen in der Türkei etwa drei Monate nach dem Ende der Krise abbauen würden. Bereits am nächsten Morgen um neun Uhr traf die Antwort Chruschtschows ein. Um den friedensgefährdenden Konflikt rasch zu beenden, so teilte er mit, habe seine Regierung angeordnet, die Waffen, »die Sie als ›offensiv‹ beschreiben, abzubauen (…) und in die Sowjetunion zurückzubringen«. Damit war die 13 Tage währende Raketenkrise zwar beendet – aber die Feindseligkeiten der USA gegen Kuba gingen weiter, oder, wie es Fidel Castro Anfang 1963 aus kubanischer Sicht formulierte: »Ein Krieg wurde verhindert, aber der Frieden ist nicht gewonnen.« Bis heute nicht, wie wir inzwischen wissen.
Wie richtig die Einschätzung Castros damals war, geht auch aus US-Dokumenten hervor. Schon am 29. Oktober, nachdem der Abbau der Raketenstellungen bereits begonnen hatte, informierte das Hauptquartier der atlantischen Streitkräfte (CINCLAND) den Generalstab, daß die Invasionsplanung »modifiziert« worden sei und auch den Einsatz taktischer Atomwaffen vorsehe – weil angeblich auch die kubanische Armee damit ausgerüstet sei. Hohe Militärs forderten, trotz der Raketenvereinbarung mit den Angriffen gegen Kuba zu beginnen. Am 5. November machte Präsident Kennedy den Verteidigungsminister darauf aufmerksam, daß die Invasionspläne für Kuba »zu dünn sind«. Es sollten drei weitere Divisionen der Reservisten mobilisiert werden – was auch zwei Tage später geschah. Am 8. November wurde eine kubanische Fabrik durch ein CIA-Sabotageteam in die Luft gesprengt.
Während am 9. November 1962 das letzte sowjetische Schiff mit abgebauten Raketenteilen Kuba verließ, führten die USA am 16. November ein großes Landemanöver in North-Carolina durch, das in einem CINCLAND-Dokument als »vollständige Probe für eine Invasion Kubas« bezeichnet wird. Die US-Schiffsblockade wurde erst am 20. November aufgehoben. Die US-Invasionsoperation »Mongoose«, die zur Raketenkrise geführt hatte, ist zwar Ende Januar 1963 offiziell beendet worden, aber zahlreiche CIA-Strukturen für die Verübung von Sabotage und Mordanschlägen gegen Fidel Castro blieben auf Drängen der US-Regierung bestehen.
Eine wichtige Rolle in der »Operation Mongoose« spielte die von der USIA, der offiziellen Informationsagentur der Regierung, gesteuerte psychologische Kriegführung. Bei allen wichtigen Geheimsitzungen waren entweder Direktor Edward Murrow oder sein Vize Donald Wilson dabei. Murrow, einer der berühmtesten US-Rundfunkjournalisten, schlug zum Beispiel am 10. Dezember 1962 – fast sieben Wochen nach dem offiziellen Ende der Raketenkrise und am Internationalen Tag der Menschenrechte – dem CIA-Chef in einem Schreiben vor, Exilkubaner über das US-Regierungsradio »Voice of America« ihre Landsleute zu Sabotageaktionen aufrufen zu lassen. Die CIA müßte »eine gewisse Führung und Kontrolle über die Sendungen« garantieren. Folgende Aktionen sollten über den Rundfunk propagiert werden: »Glas und Nägel auf Straßen legen, Wasser in öffentlichen Gebäuden laufen lassen, Sand in Maschinen streuen, Elektrizität vergeuden, Krankenurlaub nehmen, Vernichtung von Zuckerrohr während der Ernte usw.« Ausgestrahlt werden sollten die Beiträge über zwei Sendeanlagen in Florida, die auf Anweisung von Präsident Kennedy im November, also wenige Tage nach Beendigung der Raketenkrise, in Betrieb genommen wurden, sowie über das von einem US-U-Boot aus betriebene »Radio Freies Kuba«.
Nicht nur Kuba im Visier
Im Schatten der Kubakrise: Die Adenauer-Regierung kriminalisiert unliebsame Kritiker (Spiegel-Chef Rudolf Augstein ein Jahr nach seiner Festnahme wegen Landesverrats, 9.1.1963)
Liest man die Dokumente des Weißen Hauses und der CIA über die geheimen Aktivitäten der USA in den Wochen vor der Raketenkrise, dann fällt auf, daß Kuba damals nicht das einzige Ziel der US-Interventionspolitik war. Am 30. Juli empfing der US-Präsident seinen Botschafter in Brasilien, um die Beeinflussung der brasilianischen Wahlen zu besprechen und einen Militärputsch zum Sturz von Präsident João Marques Goulart vorzubereiten. Acht Millionen Dollar stellten die USA dafür bereit. Während der Raketenkrise wurde Umsturzspezialist Vernon Walters, später CIA-Vizechef und US-Botschafter in Bonn (1989–1991), als »Militärattaché« nach Brasilien geschickt. Dort bezeichneten ihn Zeitungen als »Chefspezialisten des Pentagon für Militärputsche«. Goulart paßte Washington nicht, weil er unter anderem eine Bodenreform durchsetzen wollte. Im März 1964 wurde er durch einen Militärputsch mit US-Hilfe abgesetzt. Die Militärdiktatur in Brasilien wütete 20 Jahre.
Die US-Unterstützung für den Einsatz Hunderter »Nationalchinesen aus Taiwan« als Agenten in China stand am 8. August bei einem Besuch von CIA-Chef John McCone im Weißen Haus auf der Tagesordnung. Der Präsident hieß den Einsatz gut. Einen Tag später ging es darum, den Diktator von US-Gnaden in Haiti, Francois Duvalier, zu stürzen. Washington trieb die Sorge um, daß diesem ähnliches passieren könnte wie drei Jahre zuvor Fulgencio Batista in Kuba, der von der Revolution hinweggefegt worden war. Präsident Kennedy billigte die »Operation Duvalier«. Ein Jahr zuvor war der Diktator der Dominikanischen Republik, Rafael Leónidas Trujillo, aus dem gleichen Grund und mit direkter Unterstützung der USA ermordet worden. Am 15. August 1962 wurde im Weißen Haus beschlossen, den Ministerpräsidenten von Britisch-Guyana, Cheddi Berret Jagan, mit CIA-Hilfe zu stürzen, weil seine Politik als »zu links« galt. Kennedy genehmigte dafür zwei Millionen Dollar. In derselben Sitzung ging es dann, ehe man sich wieder der bevorstehenden Militäraktion gegen Kuba widmete, um eine neue CIA-Doktrin, die in einem Dutzend Staaten in Asien und Südamerika »verdeckte Operationen« der USA vorsah.
Der Bau von Abschußrampen für sowjetische Mittelstreckenraketen in Kuba wird heute zumeist als aggressive Handlung dargestellt, die Präsident Kennedy herausgefordert und den Frieden gefährdet habe. Die Ursache für die Stationierung, die drohende US-Invasion Kubas, wird gern ausgeblendet. Samuel Halpern von der CIA-Spezialabteilung für das »Mongoose«-Unternehmen begriff jedoch diesen Zusammenhang zwischen den US-Plänen von Februar 1962 und der Raketenstationierung. Acht Monate vor der Raketenkrise war schließlich von »Mongoose«-Chef General Edward Lansdale festgelegt worden, daß die Invasion Kubas im Oktober stattfinden solle. Der CIA-Mann bestätigte auch, daß Ende Oktober als Zeitpunkt für die Invasion gewählt wurde, weil im November Wahlen waren. Gegenüber einem Vertreter des Nationalen Sicherheitsarchivs in Washington erklärte Halpern: »Der interessante Teil dieses Programms (»Mongoose«) kommt ziemlich zum Schluß, wenn er (General Lansdale) die (Exil-)Kubaner und die (US-)Amerikaner in der letzten Oktoberwoche 1962 siegreich durch Havanna marschieren sieht – und Castro ist verschwunden. Wenn man dann ein wenig genauer in den Kalender schaut, die Woche darauf, da sollten in diesem Land Kongreßwahlen stattfinden (…).«
Dieser Zusammenhang zwischen dem Invasionsplan »Mongoose« und der Raketenstationierung ist auch für den Luftwaffengeneral William Smith ersichtlich. »Viele Leute in Kuba haben gemerkt, daß irgend etwas los war – die Versuche, Castro zu vernichten; das Militär der Vereinigten Staaten führte viele Manöver durch, die den Eindruck vermittelten, daß wir eine Invasion Kubas planten«, erklärte der hohe Militär gegenüber dem Nationalen Sicherheitsarchiv. »Die Kubaner und die Russen glaubten, daß die USA wirklich beabsichtigen, Kuba anzugreifen, und deshalb hat Castro immer wieder gesagt, ich brauche Hilfe.« Aus neueren Veröffentlichungen geht auch hervor, daß sowohl die Sowjetunion als auch Kuba durch Informanten in den USA über die Invasionspläne im Rahmen der »Operation Mongoose« Bescheid wußten.
Die Planungen im Vorfeld
Bei der Beantwortung der Frage, wer denn im Oktober 1962 die Welt an den Abgrund eines Nuklearkrieges getrieben hat, könnten auch die inzwischen freigegebenen Protokolle der ersten Krisendebatten der US-Regierung helfen. Am 16. Oktober um 11.50 Uhr, auf der allerersten Notstandssitzung im Weißen Haus nach Identifizierung der noch im Bau befindlichen sowjetischen Raketenstellungen, erkärte Außenminister Dean Rusk: »(…) warum die Sowjets das tun? Mr. McCone (der CIA-Chef) hat schon vor einigen Wochen darauf hingewiesen, daß da eine Sache ist, die Mr. Chruschtschow vielleicht beabsichtigt. Er weiß, daß wir eine beträchtliche nukleare Übermacht haben, er weiß aber auch, daß wir nicht in Furcht vor seinen Nuklearwaffen leben, zumindest nicht in dem Ausmaß, in dem er in Furcht vor unseren zu leben hat. Und wir haben Nuklearwaffen in (seiner) Nähe, in der Türkei und ähnlichen Orten (…). Und Mr. McCone hat die Meinung geäußert, daß Chruschtschow vielleicht denkt, es sei wichtig für uns zu erfahren, wie es sich unter (der Bedrohung durch) Mittelstreckenraketen lebt, so als eine Art Ausgleich.«
Am nächsten Tag – es waren seit der Nachricht über die entdeckten Raketen gerade 24 Stunden vergangen – griff Justizminister Kennedy auf einer weiteren Sitzung das Thema unter einem etwas anderen Blickwinkel erneut auf. Er fragte, ob die westeuropäischen Staaten, die ja seit Jahren von sowjetischen Raketen erreicht werden könnten, angesichts der US-Haltung zu den sowjetischen Raketen in Kuba nicht die Position einnehmen würden: »Jetzt, wo die USA ein paar Raketen in ihrem Hinterhof haben, werden sie hysterisch.«
Bereits sieben Monate vor Beginn der Oktoberkrise, am 22. März 1962, hatte Robert Kennedy alle Beteiligten der »Operation Mongoose« aufgefordert, über die US-Reaktion auf eine mögliche Errichtung einer sowjetischen Militärbasis in Kuba nachzudenken. General Lansdale, der Verfasser des Invasionsplanes, antwortete darauf am 31. Mai mit dem Hinweis, daß damit jede US-Invasion verhindert würde. »Da die SGA (die Führungsgruppe im Weißen Haus für »Mongoose«) davon ausgeht, daß der offene Einsatz von US-Streitkräften nötig ist, um die kommunistische Kontrolle Kubas zu beenden, ist Mr. Kennedys Frage besonders sachdienlich. Sollten die Sowjets nämlich ihre Option wahrnehmen und (…) eine Militärbasis in Kuba errichten, kann dieser Vorgang jede künftige Entscheidung verhindern, mit US-Streitkräften zu intervenieren – ebenso wie die Sowjets sich jeder Anwendung von militärischer Gewalt gegen Länder enthalten haben, in denen US-Basen errichtet wurden. Außerdem wäre die Errichtung einer Militärbasis in Kuba für die Sowjets in bezug auf die Weltmeinung keine Belastung. Sie könnten zum Beispiel erklären, daß sie einfach nur unserem Beispiel folgten und ihre Basen in Kuba wieder beseitigen würden, wenn wir das gleiche in Berlin, der Türkei und auf Formosa tun.« Verteidigungsminister McNamara räumte vor einigen Jahren ein, daß angesichts des Verhaltens der USA »die Angst vor einer US-Invasion« aus Sicht der Kubaner und Russen durchaus verständlich gewesen sei.
Interessant ist auch eine Chronologie des Nationalen Sicherheitsarchivs in Washington über die Vorgeschichte der Stationierung sowjetischer Raketen in Kuba, nämlich der enge Zusammenhang mit der Stationierung der US-Raketen in Süditalien und der Türkei: Nachdem die »Jupiter«-Raketen in der Türkei Anfang April 1962 für »einsatzbereit« erklärt wurden, habe Chruschtschow Ende April die Frage gestellt, ob nicht entsprechende Waffen auf Kuba stationiert werden könnten, um die USA von einer Invasion abzuschrecken. In Moskau erfuhr der sowjetische Führer nicht nur Zustimmung für seine Idee. So sollen Vizepräsident Anastas I. Mikojan, Außenminister Andrej A. Gromyko und der neue sowjetische Botschafter in Kuba, Alexander Alexejew, ablehnend reagiert haben. Zwei große US-Manöver im Mai, die die US-Vorbereitungen für die Invasion Kubas testen sollten und nicht unbemerkt blieben, wirkten sich offenbar beschleunigend für die sowjetischen Pläne aus.
Am 29. Mai 1962 flog eine sowjetische Delegation nach Kuba, um den Plan mit Fidel Castro zu erörtern. Der fand die Idee »interessant«, stimmte aber erst nach Beratungen mit Che Guevara, Raúl Castro, Präsident Oswaldo Dorticós und Außenminister Raúl Roa zu. Nach Darstellung des Nationalen Sicherheitsarchivs gingen die ersten Raketen Mitte Juli 1962 auf die Reise nach Kuba. Am 30. August schlug Che Guevara bei einem Besuch der Sowjetunion Chruschtschow vor, die Stationierung der Raketen in Kuba offiziell anzukündigen. Der lehnte jedoch ab.
Präsident Kennedy schien sich des Zusammenhangs der US-Raketen in Italien und der Türkei mit den Aktivitäten der UdSSR ebenfalls bewußt zu sein. Zumindest forderte er vom Pentagon schon am 23. August 1962 eine Untersuchung, »was unternommen werden müsse, um die »Jupiter«-Raketen aus der Türkei abzuziehen«. Vielleicht erinnerte er sich auch, daß sein Vorgänger Dwight D. Eisenhower auf die ersten Stationierungspläne der US-Militärs 1959 in der Türkei zurückhaltend bis ablehnend reagiert und sie einen »provokativen Schritt« genannt hatte, der einer Stationierung von sowjetischen Raketen in »Mexiko oder Kuba« entspreche.
Adenauer und Gehlen zündeln mit
Für Präsident Kennedy war es während der Krisentage wichtig, sich der Zustimmung der wichtigsten NATO-Bündnispartner für seine Politik zu vergewissern. Deshalb schickte er seine Emissäre in viele Hauptstädte Westeuropas. Der ehemalige Außenminister Dean Acheson, ein Hardliner und Befürworter der sofortigen Invasion Kubas, war am 23. Oktober in Bonn und fand bei Bundeskanzler Konrad Adenauer vollste Unterstützung. In der kürzlich gesendeten Dokumentation »Adenauers Kampf um die Bombe« erklärte Adenauers Biograph Prof. Hans-Peter Schwarz zur Haltung des westdeutschen Bundeskanzlers während der Raketenkrise: »Wir wissen, daß Adenauer dafür plädiert hat, (…) eine Bombardierung der Raketenstellungen auf Kuba in Verbindung mit einer Invasion« durchzuführen. Adenauer und sein Verteidigungsminister Franz Josef Strauß hofften ebenso, durch ihre bedingungslose Unterstützung für die US-Regierung ihrem Wunsch nach Atomwaffen näherzukommen.
Adenauers Position zur Kubakrise entsprach mehreren Vorlagen des Chefs der Auslandsspionage BND, Exnazigeneral Reinhard Gehlen, an die Bundesregierung. Der hatte, dank seiner Spitzel in Kuba selbst gut informiert, auf einen »militärischen Präventivschlag« der USA gegen die »gefährliche kommunistische Bastion« Kuba gedrängt. Das wird aus bisher geheimen Dokumenten deutlich, die die Arbeitsgruppe »Geschichte des BND« am 12. Oktober 2012 veröffentlichte. Daraus geht weiter hervor, daß Gehlen in einem Bericht an Staatssekretär Hans Globke am 29. Oktober 1962 seine Enttäuschung über die ausgebliebene US-Invasion Kubas so ausdrückte: »Die Amerikaner haben die Frist, in der sie (…) handeln konnten, durch die Entschlußlosigkeit der amerikanischen Führung verpaßt.« Wenige Tage zuvor hatte der BND beklagt, daß die USA »die Garantie der staatlichen Integrität Kubas und den Verzicht auf eine Invasion als Gegenleistung für den Abzug der Atomraketen« versprochen hatten. Die BND-Dokumente verdeutlichen darüber hinaus eine enge Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Geheimdienst und der CIA im Kampf gegen die kubanische Revolution.
Die Bundesregierung in Bonn nutzte die Tage der Raketenkrise auch, um im Schatten der Ereignisse in der Karibik eigene Schäfchen ins Trockene zu bringen. Am 24. Oktober 1962 fand eine Sondersitzung der Regierung statt, um über die Krise zu beraten und gleich die ins Stocken geratene Verabschiedung der Notstandsgesetze zu beschleunigen. Das habe natürlich überhaupt nichts mit der aktuellen Lage zu tun, behauptete Pressechef Karl-Günther von Hase später vor Journalisten. Auf einer weiteren Sondersitzung fünf Tage später teilte Verteidigungsminister Strauß mit, sein Ministerium habe »Maßnahmen zur Beschleunigung von Waffen- und Munitionskäufen angeordnet« und bereits am 27. Oktober »durch Erlaß« die Dienstzeit von Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften auf Zeit um bis zu zwei Monate verlängert.
Der Höhepunkt der Raketenkrise kam Bonn offenbar gelegen, um gegen das Nachrichtenmagazin Der Spiegel vorzugehen. In der Nacht zum 27. Oktober überfiel die Polizei die Redaktion der Zeitschrift, führte auf Anweisung der Bundesanwaltschaft wegen angeblichen »Landesverrats« in einem Wochen zuvor veröffentlichen Artikel eine Haussuchung durch und verhaftete mehrere Redaktionsmitglieder. Herausgeber Rudolf Augstein, der sogar mit Haftbefehl gesucht wurde, stellte sich am nächsten Tag. Strauß befahl telefonisch »auch im Namen des Kanzlers« dem westdeutschen Militärattaché in Spanien mitten in der Nacht, den stellvertretenden Chefredakteur Conrad Ahlers in seinem Urlaubsort Torremolinos festnehmen zu lassen. Das sei auch deshalb sehr wichtig, so Strauß allen Ernstes, weil Spiegel-Chef Augstein bereits nach Kuba geflohen sei!
Unmittelbar vor seiner Festnahme hatte Augstein für den Spiegel einen Kommentar zur Raketenkrise geschrieben, der die US-»Weltmachtpolitik aus dem Sattel« kritisierte. In Gegensatz dazu stand ein Kommentar von Theo Sommer in der Wochenzeitung Die Zeit, der eher im Geiste des BND beklagte, daß mit dem Abzug der Raketen aus Kuba »der Schlange nur die Giftzähne ausgebrochen werden«, denn »die kommunistische Präsenz in Lateinamerika wurde bestätigt – Kennedy hat sich ausdrücklich verpflichtet, dem Gedanken an eine Invasion der Castro-Insel abzuschwören«. Das sei, so der spätere Herausgeber der Zeit, »das Ende einer Politik des Zurückrollens und der Befreiung«.
Augstein dagegen nannte die US-Politik gegen Kuba einen »kriegsähnlichen Akt der Blockade«, denn »schließlich hat Castro den Vereinigten Staaten die Abrüstung seines Landes angeboten, sofern ihm eine völkerrechtlich bindende Nichtangriffserklärung gegeben würde«. Und weiter: »Die Unterscheidung zwischen ›bösen‹ Angriffsraketen der Sowjets und ›guten‹ Verteidigungsraketen der NATO in der Türkei und in Italien verrät eine bedenkliche Mischung aus moralisierendem Extremismus und propagandistischem Pharisäertum.« Die USA, so das vernichtende Urteil des Spiegel-Herausgebers, hätten in der Karibik »eine Faustrecht-Philosophie exerziert« und die westliche Welt so regiert, »wie man es in Texas gern sieht: aus dem Sattel«.
(c) Horst Schäfer
Der Journalist Horst Schäfer hat elf Jahre als Korrespondent der DDR-Nachrichtenagentur ADN in den USA gearbeitet. Er ist Autor des Buches »Im Fadenkreuz: Kuba«, Berlin 2007.
Teil I
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