Donnerstag, 16. September 2010

Domenico Losurdos Buch über den »deutschen Sonderweg«

Von Arnold Schölzel
Vorbild für die Nazis war die Sklaverei in den USA – Ku-Klux-Klan-Ausstattung im Museum (Philadelphia, 14. Januar 2009)
Foto: AP
Viel bleibt vom Thema schon auf den ersten Seiten von Domenico Losurdos vierteiliger Studie über »Die Deutschen. Sonderweg eines unverbesserlichen Volkes« nicht übrig. Der Terminus »Sonderweg« ist wenig mehr als ein schlechter Witz, ausreichend für Antideutsche, für Anhänger von Jürgen Habermas, von Jonathan Goldhagen oder – er fehlt leider hier im Buch – der schreibenden Hofschranze neuer deutscher Herrlichkeit, dem Historiker Heinrich August Winkler. Losurdo führt eingangs an, wie z.B. im 19. Jahrhundert dieses oder jenes Land als »besonders« eingestuft wurde – Rußland als ewig rückständig, Frankreich als militaristisch, Deutschland (wegen seiner starken Arbeiterbewegung) als revolutionär. Er faßt zusammen: »Bei genauerer Untersuchung der Geschichte ergibt sich, daß es nichts Wiederkehrenderes gibt als den ›Sonderweg‹!« Außerdem handele es sich um eine Kategorie, »die geistige Faulheit« fördere. Denn sie erklärt im Handumdrehen jedes wichtige historische Ereignis. 
Negative Theologie
Warum läßt der Autor dem knappen Verdikt aber 100 Seiten folgen? Weil sich, wie er schreibt, »die Mythologie als zählebig« erweist, als sei die Geschichte des deutschen Volkes von einer negativen Teleologie beherrscht, die in fataler Weise »auf die Barbarei des Dritten Reichs und auf die Greuel der ›Endlösung‹ hinausliefe.« Nun gibt es bei so ziemlich jedem bedeutenden Theoretiker, einschließlich Marx und Engels, nebenbei einmal diese oder jene an »Völkerpsychologie« gemahnende Passage. Heutige Sonderwegsadepten aber sind im Gegensatz zu jenen hoch ignorant (die DDR-Geschichte spielt bei ihnen, leider auch bei Losurdo keine Rolle) und haben politische Interessen. Lohnt es zu antworten? Der Rezensent hat seine Zweifel, ob das auf geringem Raum möglich ist. Sinnvoll wäre vielleicht, sich generell mit der Alternativstruktur von Geschichte zu befassen. Alternativen zwischen Revolution und Rückschritt gab es selbstverständlich wie in jeder Geschichte so auch in der deutschen. Warum gerade Deutschland 1933 zum »Zentrum der reaktionären Ideologie« in der Welt wurde, wie Georg Lukács es noch im selben Jahr formulierte, und warum hier die physische Liquidierung von echten und vermeintlichen Gegnern, vor allem aber die Vernichtung von Slawen und Juden auf die Tagesordnung gesetzt wurde, das allerdings wäre zu fragen. Darauf hat Losurdo eine überzeugende Antwort: Es gab Vorbilder. Nicht nur im Zivilisationsbruch des Ersten Weltkrieges, sondern vor allem in der kolonialen Vernichtungspraxis Großbritanniens und der USA. Losurdo zitiert den britischen Historiker Arnold Toynbee, der schrieb, daß vor allem »unsere englische Methode der Kolonisation« durch die »totale Vernichtung der vorherigen lokalen Bevölkerung« gekennzeichnet ist, insbesondere in Nordamerika. Ein Vorbild für die Nazis war – belegbar – die Sklaverei in den USA und die von ihr ausgehende Prägung des Staatswesens zu einem »Rassenstaat«, an dessen beherrschender Tradition auch ein schwarzer US-Präsident nichts ändert. Ein zentrales Kapitel in Losurdos Buch trägt daher den Titel: »Die internationalen Ursprünge des Nazismus«. Es weist Einflüsse aus der kolonialen, rassistischen, aber stets »liberal« und »demokratisch« daherkommenden Ideologie der USA, aber auch aus Frankreich nach (hinzuzufügen wäre allerdings das zaristische Rußland). Hier setzt der Autor eigene Akzente, z.B. wenn er schreibt, nicht die Niederlage im deutschen Bauernkrieg oder in der Revolution von 1848 hätten die Reaktion entscheidend bis hin zum Faschismus gestärkt, sondern das Scheitern »der abolitionistischen Revolution in den USA« sei von weit größerem Einfluß gewesen.
Linke und Nation
Im abschließenden Kapitel widmet sich Losurdo dem Thema »Die Linke und die Nation«. Hier ist, läßt sich auch nach Lektüre dieses Abschnitts sagen, alles gesagt: Entweder behandelt die Linke dieses Thema konkret-historisch, d. h. an die soziale Frage gekoppelt, oder sie läßt es besser bleiben. In einem höchst instruktiven Vorwort legt Andreas Wehr dar, in welcher Weise die Rede vom »Sonderweg« in der Bundesrepublik von Habermas 1963 bis Herfried Münkler 1999 als Propagandawaffe gegen sozialen Widerstand, Kriegsgegnerschaft und Protest nützlich war und ist. Das Zusammenspiel linker und rechter »Sonderwegs«-Propagandisten wäre ein eigenes Thema. Von Tatsachen, die hier auf höchst überzeugende Weise zusammengestellt wurden, werden sie sich – das sei prophezeit – allerdings nicht beeindrucken lassen.
Domenico Losurdo: Die Deutschen. Sonderweg eines unverbesserlichen Volkes? Mit einem Vorwort von Andreas Wehr. Kai Homilius Verlag, Berlin 2010, 112 Seiten, 7,50 Euro

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