Mittwoch, 23. Februar 2022

Michel Houellebecq - Hommage für einen Meister

Michel Houellebecq ist zweifellos einer der talentiertesten und besten Schriftsteller unserer Zeit. Er besitzt einen analytischen Verstand und versteht es wie kaum ein anderer in seiner Zunft, die Dinge weiterzudenken. Kaum Rücksicht nehmend auf den Zeitgeist und die politische Korrektheit genannte Zensur zumeist linksradikaler Hypermoralisten beschreibt er die Dinge, wie er sie sieht. Schnörkellos, in durchdacht klarer, leb- wie bildhafter und preziöser Sprache. Oberflächlich betrachtet mögen seine Romane auf so manchen Leser verletzend, ordinär oder depressiv wirken, doch unter der Oberfläche verbirgt sich die Darstellung der Realität, wie sie nun einmal ist. Und das ist nun einmal kein Wunschkonzert. Houellebecq ist unbestreitbar ein guter Beobachter und das literarische Gegenteil vom allgegenwärtigen menschlichen Selbstbetrug. Der Erfolg Houellebecqs zeugt allerdings davon, dass das Gros seiner Leser sich bereitwillig fesseln lässt vom Können des Meisters und es immer noch eine große Masse gibt, denen der Zeitgeist noch nicht Dinge wie das Denken, Geschmack und Anspruch abtrainiert hat.

Bis auf sein aktuelles Buch habe ich alle bisherigen Romane Houellebecqs gelesen. Das allein macht schon Houellebecq für mich einzigartig, denn er ist der einzige Schriftsteller, von dem ich sämtliche Bücher gelesen habe bzw. noch lesen werde. Die Lektüre seiner Werke hat mir bisher weitestgehend Lust und Freude bereitet. Sicherlich gibt es Sachen, die ich als weniger interessant oder für überflüssig erachtet hatte, aber das wiederum hält sich in engen Grenzen, erweitert trotzdem meinen Blickwinkel und trübt keinesfalls die Aussagekraft oder den Inhalt seiner Werke. Zudem zeichnet Houellebecq aus, dass er nicht über Dinge schreibt, von denen er nur wenig bis gar nichts versteht, was sich von viel zu vielen Autoren unserer Tage nicht sagen lässt. Die grassierende Mittelmäßigkeit ist jedenfalls Houellebecq's Sache nicht. Selbst an den Stellen seiner Romane, in denen sich Houellebecq detailreich pornographisch betätigt, hatte ich nicht das Gefühl, dass es der Autor lediglich auf die Stimulierung meines Lustzentrums abgesehen habe. Bei Houellebecq frage ich mich auch dann noch, was mir der Autor damit sagen will, da Houellebecq eben nicht oberflächlich denkt und schreibt. Houellebecq betätigt sich in seinen Romanen niemals als Oberlehrer, der mit ausgestrecktem Finger seinen Schülern das eigenständige Denken abnehmen will. Houellebecq lässt Platz für eigenes Denken und schafft Freiräume für eigene Interpretationen, darin besteht seine Kunst. Wobei der Mensch Houellebecq mindestens genauso interessant wie seine Werke ist, aus denen der großartige Geist und Verstand ihres Schöpfers spricht.

Doch kommen wir zum eigentlichen Grund, warum ich ausgerechnet heute das Bedürfnis verspürte, das alles einmal gesagt zu haben und diesen Artikel zu schreiben. Ich hatte mir das obige Interview des schweizerischen Fernsehens angeschaut, das übrigens für Gegner des betreuten Denkens zu empfehlen ist. Als Houellebecq zur "Umstrittenheit" seiner Person - bei wem eigentlich?! - befragt wird, und das er "vielen" - wer oder was sind diese "vielen"?! - als Querulant, Provokateur, Querdenker und dergleichen mehr gilt, antwortet dieser erwartungsgemäß durchdacht und mit einem gleichermaßen interessanten wie berechtigten Ansatz. Ich hätte mir gewünscht, ich wäre bei diesem Interview anwesend gewesen. Dann hätte ich den Worten des Großmeisters der Gegenwarts-Literatur gerne noch etwas angefügt. Denn Houellebecq's Denken und Schreiben ist durchdrungen von der Philosophie des Objektivismus. Dessen Gegner hingegen sind Anhänger und Schüler der Philosophie des Konstruktivismus. Der eine versucht die Dinge so zu sehen, wie sie sind, aber dessen Gegner die Dinge so wie sie sein sollen. Das unterscheidet den Objektivisten vom Konstruktivisten, den Realisten vom Kollektivisten. Auf diese Gegnerschaft, die bisweilen eine offene Feindschaft ist, kann und sollte Houellebecq stolz sein. Denn sie unterscheidet den Homo Sapiens vom gewöhnlichen Herdentier, das den noch größeren Arschlöchern als sie es selbst sind einfach nur untertänigst und gedankenlos folgt.
Sadismus hat mit Sexualität gar nichts zu tun, weil die eigene Lust vom Leid des anderen abhängt. Für mich ist Sadismus nur eine Spielart ganz normaler menschlicher Grausamkeit. So wie man Gefangene foltert oder Tiere quält.

Houellebecq in Der Spiegel 48/2000

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