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Ein Adventsmärchen vom Umgang mit der Obrigkeit
Als die Götter noch auf Erden wandelten, erhob sich zu Beginn einer Schachpartie zwischen dem Untertan und dem Obersten der Götter die Frage, wem der erste Zug zu gewähren sei. In Anlehnung an die Vokabel „gewähren“ äußerte der Oberste der Götter die Auffassung, man habe im vorliegenden Falle Rücksicht auf seine gesellschaftliche Stellung zu nehmen, ihm also, da er seine Gottheit nicht von heute auf morgen verleugnen könne, ein klares Bestimmungsrecht einzuräumen, dessen Nutzung ganz allein seine Angelegenheit sei, wie es sich für den Obersten der Götter gezieme.
Dies jedoch stieß auf gewisse Bedenken seitens des Untertanen. Es stünden sich hier, war die Quintessenz seiner Aussagen, zwei Grundpositionen gegenüber, die es zu klären gelte. Unbedingt gebe er zu, dass der Oberste der Götter seine Eigenschaft als solcher nicht nur behalten dürfe, sondern aus Gründen des gesellschaftlichen Protokolls auch in Anbetracht der fortgeschrittenen Stunde dieses sogar müsse, allein genau darin sehe er, der Untertan, die beste und deswegen auch, in ständigem Hinblick auf die Vollkommenheit seines Gegenübers, einzige Möglichkeit des weiteren Vorgehens. Ausgehend von seiner Allmacht, welche zu leugnen ein zugegebenermaßen sinnloses Unterfangen sei, möge der Oberste der Götter seinen Blick auf die Konsequenzen derselben – frei zutage liegend und für den Denker einwandfrei zu bestimmen – richten, welche doch wohl in dem Satze, wer alles könne, müsse auch etwas nicht können können, ihren Gipfelpunkt fänden.
So sei es tatsächlich ein Leichtes für den Obersten der Götter, sich für die Verweildauer der Schachpartie auf die Stufe des Untertanen zu stellen und ohne jegliche Einflussnahme auf das zufällige Geschehen gewissermaßen das Los über die Gewährung des ersten Zuges entscheiden zu lassen, sofern ebendieses vorher vertraglich vereinbart worden sei, was sich als Angelegenheit von einem, höchstens zwei Augenblicken erweisen werde. Sodann wolle er, der Untertan, zwei Bauern in seinen Händen verbergen und der Oberste der Götter, welcher sich hüten möge, die untertänigen Gedanken lesen zu wollen, da er in diesem Falle als Vertragsbrecher den Bereich der Legalität verlasse, möge sich nach seinem Belieben eine der Hände aussuchen. Die Farbe des darin vorgefundenen Bauern werde dann auch die Farbe seines Spiels bestimmen.
Der Oberste der Götter, im Bewusstsein seines Rufs als gütiger Vater, konnte sich einer derartigen Flut von ausgearbeiteten und wohlformulierten Argumenten nicht widersetzen und erklärte sich einverstanden, weshalb er auch, als der Untertan sich anschickte, in die Schachtel mit den Spielfiguren zu greifen, unaufgefordert, damit er nicht die Verteilung der Bauern beobachte, die Augen schloss und so nicht wahrnahm, dass der Untertan zwei schwarze Bauern aus der Schachtel nahm und hinter seinem Rücken versteckte.
Die rechte Hand wählend erhielt der Oberste der Götter einen schwarzen Bauern. Der Untertan hatte den ersten Zug.
auf Reitschuster.de erschienen
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