Samstag, 1. Januar 2011

Mediale Jubelperser: heute - die Süddeutsche

(c) Wolfgang Michal
Per Aufmacher verkündet das Blatt am 29.12. die große Neuigkeit: „In Deutschland kommen mehr Kinder zur Welt. Zwischen Januar und September 2010 wurden fast 20.000 Babys mehr geboren als ein Jahr zuvor“. Leider ist die Nachricht weder korrekt noch neu noch besonders überraschend.
Dass Journalisten häufig Probleme mit dem Lesen von Statistiken haben, ist bekannt. Wer in Mathe eine Fünf hatte, war meist gut in Deutsch. Und so wurde man halt Journalist. Solche Journalisten arbeiten z.B. auch bei der Süddeutschen Zeitung. Und so lautet die Schlagzeile am 29.12.:
„In Deutschland kommen mehr Kinder zur Welt“.
Doch die Zahlen, die da frohgemut als Neuigkeit verkündet werden, stehen seit Wochen auf der Homepage des Statistischen Bundesamts. Und die „fast 20.000 Babys“ mehr, die der Redakteur für die Monate Januar bis September errechnet hat, sind in Wahrheit 17.900. Okay, das kann im Überschwang der Positivmeldungen schon mal passieren. Betrachten wir nun den Vorspann des SZ-Aufmachers. Der lautet:
„Die Zahl der Geburten in Deutschland ist in den ersten neun Monaten des Jahres 2010 stark gestiegen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kamen zwischen Januar und September insgesamt etwa 510 000 Kinder zur Welt. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es nur 492 000 Kinder. Das entspricht einem Plus von 3,6 Prozent. Ein derart großer Zuwachs war im gesamten letzten Jahrzehnt nicht feststellbar.“
Diese Meldung erinnert fatal an die Zahlentricks der ehemaligen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Denn der Anstieg der Kinderzahl um 17.900 liegt einfach daran, dass die Geburtenzahl von 2008 auf 2009 um 17.400 gesunken war. Die Kinderzahl des Jahres 2010 liegt also in etwa auf dem Niveau des Jahres 2008. Die signifikante Delle des Jahres 2009 ist vor allem die Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise.
Das aber bestreitet die Süddeutsche Zeitung in ihrem Bericht. Dort heißt es:
„Bemerkenswert ist auch, dass die Wirtschaftskrise in Deutschland offenbar keinen Einfluss auf die demographische Entwicklung nahm. Hätten sich die Deutschen nach Beginn der Krise im November 2008 entschieden, ihre Kinderwünsche aufzuschieben oder aufzugeben, wäre dies vom Herbst 2009 an in der Statistik deutlich geworden. Dies ist jedoch nicht der Fall…“
Doch! Dies ist der Fall! Denn die offene Finanzkrise begann nicht erst im November 2008, sondern bereits im September. Aber so genau nimmt es unser SZ-Journalist ja nicht. Es könnte die beabsichtigte Aussage gefährden.
Tatsache ist: Die Finanzkrise ist ein wesentlicher Grund für den Geburtenrückgang des Jahres 2009 gewesen. In Krisenzeiten sind Geburtenraten stets rückläufig.
Darüber hinaus behauptet die SZ, die Geburtenrate sei nach Einführung des Elterngeldes 2007 „deutlich gestiegen“, nämlich von 1,33 Kindern pro Frau auf 1,37 Kinder pro Frau. Begründung der SZ: Im Jahr 2007 sind 12 000 Kinder mehr auf die Welt gekommen als 2006. Doch auch dieses Plus beruht wieder nur auf der Tatsache, dass die Kinderzahl von 2005 auf 2006 um 13.000 gesunken war. Im Mittel ergibt sich also keinerlei Veränderung. In den Jahren 2005, 2007, 2008 und 2010 liegt die Kinderzahl in etwa auf dem gleichen Niveau. Nur 2006 und 2009 gibt es eine Delle.
Das einzige, was die Kinderzahl im Lauf der letzten beiden Jahrzehnte entscheidend beeinflusst hat, ist die Erholung Ostdeutschlands vom Schockzustand der Nachwendezeit. Denn die schwere Wirtschafts- und Umstellungskrise zeigte sich vor allem in einem drastischen Geburtenrückgang im Osten, zuvörderst in den Jahren der besonders hohen Unsicherheit zwischen 1992 und 1995. Seither ist die ostdeutsche Geburtenziffer pro Frau von 0,77 (1994) auf 1,40 (2009) gestiegen, hat sich also fast verdoppelt.
Die Westdeutschen mussten einen ähnlichen Wirtschafts-Schock nur andeutungsweise verkraften. Ihre Geburtenziffer ging nach der Wende lediglich auf 1,33 Kinder pro Frau zurück und pendelt seit 2001 zwischen 1,34 und 1,38.
Das immer wieder versuchte Hochjubeln von Geburtenzahlen ist gezielte Desinformation oder Zahlen-Schlamperei. Ein stabiler Trend zu mehr Kindern ist bislang nirgends auszumachen.

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